Das Forschungszentrum Jülich weiß viel über die Arbeit des Gehirns. Zudem steht dort der schnellste Großrechner Europas. Aus dieser Kombination entwickelte sich der Versuch, das menschliche Denken am Computer zu simulieren.

 

Mit dem leistungsfähigsten Computer Europas startet eine internationale Forschergruppe in Jülich ein Mammutprojekt, dessen Ende nicht absehbar ist. Die Wissenschaftler wollen das Gehirn simulieren: seine etwa 100 Milliarden Nervenzellen, von denen jede wiederum 10 000 Synapsen hat, ein riesiges Netzwerk von Verbindungen, deren genaues Zusammenspiel noch weitgehend unverstanden ist. Das menschliche Gehirn zählt zu den komplexesten Entwicklungen der Natur.

Zunächst geht es den Forschern nicht um die unumstrittene Meisterleistung des Gehirns, nämlich Verstand, Bewusstsein und das Denken. Die Simulation soll erst einmal Abläufe nachahmen, die dagegen zwar primitiv erscheinen, aber in ihrer Dynamik und Komplexität ohne Supercomputer nicht darstellbar wären – wenn es überhaupt gelingt, sie im Modell zu entwickeln. Je besser Struktur, Funktions- und Arbeitsweise des Gehirns verstanden werden, desto größer sind die Chancen, beispielsweise Erkrankungen des Nervensystems frühzeitig zu erkennen und zu behandeln – auch wenn dieser Aspekt der Anwendung in Jülich noch in weiter Ferne liegt.

Einer von vielen verschiedenen Ansätzen, die im "Simulation Laboratory Neuroscience" parallel in Angriff genommen werden, erklärt Neuro-Anatomin Katrin Amunts, ist das bessere Verständnis vom Sehen.

Hier sind zahlreiche Hirnareale aktiv, eine schier unendliche Flut an Daten wird im Gehirn weitergeleitet, in deren Ergebnis wir beispielsweise ein Tier sehen, es identifizieren und dann binnen Millisekunden das Wort "Katze" aussprechen.

"Bisher wissen wir, dass unzählige Faserbahnen, die die verschiedenen Areale im Gehirn verbinden, an diesen Prozessen beteiligt sind", erklärt Katrin Amunts. Sie übermitteln die Informationen, die ihrerseits in den Nervenzellen wieder neue Impulse erzeugen, damit die Aufgabe erledigt wird. Als Feuerwerk der Neuronen beschreiben die Hirnforscher diesen komplizierten Vorgang. Dieses dreidimensionale Geflecht wirkt zunächst wie ein gigantisches Chaos und soll jetzt am Rechner simuliert werden.

Eine Aufgabe, deren Lösung Jahre dauern wird und deren Ergebnis immer wieder mit den vorliegenden Erkenntnissen der Forschung aus Messungen am echten Gehirn, mit Strukturen und Mustern verglichen wird. Derzeit arbeiten die Jülicher am Computer mit neuronalen Netzwerken von rund hunderttausend Zellen, also nur einem winzigen Bruchteil der Struktur des Gehirns – nicht mehr als ein kleiner Nachbau.

"Wir entwickeln eine Hypothese, wie das Netzwerk eine bestimmte Aufgabe lernt", erklärt Abigail Morrison, die das "Simulation Laboratory Neuroscience" leitet. Dann wird überprüft, ob das Gehirnmodell im Rechner die gleiche Lösung gewählt hat wie sein Vorbild.

So wird die Wirklichkeit der permanente Gradmesser für den Erfolg der Simulation mit dem Computer. Simulation bedeutet für die Jülicher Forschergruppe, dass ein möglichst authentisches Modell des Gehirns entwickelt wird. Der Computer soll ermöglichen, was Theorie und Experiment allein nicht erreichen können.

Das ist wohl die besondere Stärke der Jülicher: Mit dem neuen Projekt können sie ihr großes Wissen in Hirnforschung und Simulation mit dem neuen Supercomputer verknüpfen. "Die riesigen Datenmengen, die solche Untersuchungen erzeugen, kann man mit einem PC nicht einmal richtig darstellen", sagt Amunts. Jetzt steht aber der schnellste Rechner Europas zur Verfügung, dessen Rechenleistung von 5,7 Petaflops (5,7 Millionen Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde) gern mit der Leistung des menschlichen Gehirns verglichen wird. "Kein anderer Ort in Europa kann sich in dieser Kombination mit Jülich vergleichen", sagt Morrison.

Bisher sind solche Simulationen immer an der Hardware gescheitert. "Das Konzept dafür ist schon 50 Jahre alt", so die Physikerin und Hirnforscherin, die auch Philosophie studiert hat. Im Jahre 2005 habe es dann eine grundlegende Publikation gegeben, in der die nötigen Algorithmen veröffentlicht wurden. "Sie stehen allen Wissenschaftlern offen, die sich für diese Forschung interessieren", sagt Morrison.

Die Arbeitsgruppe, die die gebürtige Britin derzeit zusammenstellt, wird vermutlich Spezialisten aus der ganzen Welt umfassen. Die Aufgabe ist zwar gewaltig, aber scheint dennoch attraktiv: Mit der Qualität der Bewerber ist Morrison sehr zufrieden.