Mensch spielt Gott

 

 

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Mensch spielt Gott

 

Dieser Mensch kämpft mit der Besessenheit einer Maschine. Getrieben von dem festen Willen, sein Ziel zu erreichen, arbeitet er Schritt für Schritt der großen Aufgabe ab. Dieser Forscher wird in seinem Leben mehr leisten als die komplette deutsche Genomforschung in einem Jahrzehnt. J. Craig Venter hat klare Vorstellungen, wie er sein Leben krönen möchte. Er will herausfinden, wie Leben funktioniert.

 

Dieser Selbstdarsteller hat dazu einen gigantischen Apparat aufgebaut. Mehr als 500 Wissenschaftler arbeiten im „J. Craig Venter Institute“ in San Diego für den 63-jährigen Autodidakten. Das heißt eigentlich sind es die Maschinen, die für ihn arbeiten. Venter hat wie früher Henry Ford im Autobau für die Gentechnik den Einsatz von Robotern perfektioniert.

Riesiger Park mit Automaten

Als es Ende der 1990er Jahre darum ging, dass menschliche Genom zu entschlüsseln, hat Venter einen Park von Automaten aufgebaut, die das Erbgut in Millionen Bruchstücke zerhackten und diese analysierten. Sie erwiesen sich am Ende als gleichwertig gegenüber herkömmlichen Wissenschaftlern. Das Computerprogramm, das die Ergebnisse der Automaten verwertet, ließ Venter von seinem Team neu entwickeln. In seinem privaten Institut arbeitet einer der schnellsten Rechner der Welt.

Nun haben seine Automaten nicht nur Erbgut entschlüsselt, sondern neu zusammengebaut. Als Modell diente ein wenig spektakulärer Einzeller, eine Art Spielzeug der Genetiker: Mycoplasma mycoides. Dessen Erbgut ist schon länger bekannt. Venters Team aus 20 Spezialisten hat es am Computer mit anderen Genen angereichert und damit dem Bakterium neue Fähigkeiten vermittelt. In einem aufwändigen Prozess unter Einsatz von Hefezellen baute Venter die DNA aus Einzelteilen vollständig nach – eine bisher in dieser Dimension nie geleistete Aufgabe. Das synthetische Genom fügte er dann in in die Zelle eines anderen Bakteriums ein.

Macht über den Organismus

Der Wirt ändert gleich seine Eigenschaften – das Venter-Genom übernahm die Macht im Organismus. Sicher: derzeit existiert es nur in sehr besonderen Nährlösungen im Labor. Aber es ist lebensfähig und noch wichtiger: es kann sich fortpflanzen.

Venters Kritiker fielen gestern gleich in den üblichen Chor: Seine Ankündigung, es handele sich um synthetisches Leben sei maßlos übertrieben, das Geschöpf sei nicht mehr als künstliche DNA in einer Zellumgebung von Mutter Natur und ohne diese nicht mehr als ein paar hilflose Moleküle aus einer Chemiefabrik.

Das stimmt – aber: Wer Venters Arbeit verfolgt, stellt fest, dass er im Zeitplan liegt bei der Entwicklung des großen Ganzen. Das eben dieser Schritt der nächste notwendige auf dem Weg zu künstlichen Leben ist. Und mehr noch: Dass es kein Zufallsprodukt ist, sondern das Ergebnis eines kalkulierten Plans. J. Craig Venter überlässt nichts dem Zufall. Wenn der begeisterte Hochseesegler an einer Regatta teilnimmt, will er gewinnen – auch wenn seine Crew dabei dem Tod ins Auge sieht.

Wegbereiter eines riesigen Erfolgs

Venter habe keine eigenen wissenschaftlichen Entdeckungen gemacht, sagen seine Kritiker. Er komme deshalb nie für den Nobelpreis in Frage. Das stimmt zwar vordergründig, aber auch Henry Ford hat das Auto nicht erfunden und war trotzdem ein Wegbereiter seines Erfolgs.

Venter ist der Mann, der bestehende Techniken perfektioniert und sie in den Alltagsbetrieb überführt. Das hat er bei der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts bewiesen, die nun weniger als 1000 Dollar pro Person kostet.

Klar, dass Venter sein eigenes Erbgut sofort für solche Analysen nutzte. Das erste menschliche Genom, dass identifiziert wurde, war in großen Teilen sein eigenes. Er habe das nicht aus Eitelkeit gemacht, sondern um später nicht mit Urheberrechtsansprüchen kämpfen zu müssen, erklärte Venter später.

Mängel am eigenen Erbgut

In seiner Biografie beschreibt er daraus die Schwächen des J. Craig Venters – argumentiert aus der Sicht des Bio-Genetikers aus den Mängeln des eigenen Erbguts. Er glaubt zu wissen, warum sein hoher Kaffee und Cola-Konsum keine körperlichen Folgen für ihn hat, dass er aber sehr wohl ein hohes Diabetes-Risiko besitzt. Die Daten stehen im Internet für Jedermann zur Verfügung. „Ich bin der erste chemische Apparat, der seine eigene Gen-Sequenz betrachten kann“, schreibt Venter.

Für den Menschen stimmt diese Ansicht nur bruchstückhaft. Die Krönung der Schöpfung ist mehr als die Summe ihrer Gene – aber bei Bakterien? Aus dieser Sicht kann man künstliches Leben in den Dienst der Menschheit steuern und stellen. Etwa 100 Millionen Dollar hat Craig Venter seinem Team dafür zur Verfügung gestellt, über genaue Zahlen schweigt er allerdings.

Einzeller, die eine Ölpest auffressen

Venter will nun Einzeller erschaffen, die bei einer Ölpest, das Öl auffressen und umwandeln, weil das Venter-Genom dem Geschöpf diese Lebensaufgabe vorschreibt. Bakterien, die Lebensmittel-Grundstoffe oder Energie erzeugen und ähnlich nützliche Wesen. Dieses Geschäft wird sich lohnen und dem Investment eine hohe Rendite bringen.

Über die Angst, was passiert wenn die Kunstobjekte ihre Umgebung verlassen, spricht Venter selten. Diese Bakterien werden so designt, dass sie ohne ihre gewohnte Umwelt nicht überlebensfähig sind – fertig. Beim Aufbau des Mycoplasma mycoides sind übrigens vier geplante Gene verschwunden. Noch ist unklar, ob das ein technischer Defekt in der Produktion war, oder vielleicht doch eine Laune der Natur.