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Bei der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts hat eine internationale Forschergruppe einen großen Fortschritt erzielt. Fünf Jahre lang haben 442 Genetiker die Details der humanen DNA untersucht. Sie fanden ein feines System von Schaltern – und Tausende von neuen Fragen.


Die Menschheit ist auf dem langen Weg, ihre eigene Spezies zu verstehen, ein gutes Stück weitergekommen. Die internationale Forschergruppe "Encode" hat in dieser Woche eine besondere Datenbank zum Aufbau des menschlichen Erbguts vorgestellt. Das Kürzel stammt aus dem Englischen und steht für "Enzyklopädie der Elemente der DNA", also ein umfassendes Werk. Die Forscher haben bestimmte Funktionen menschlicher Zellen mit der komplexen Struktur unserer Erbinformationen verknüpft. Die erste wesentliche Erkenntnis: Vermutlich sind 80 Prozent unseres Erbguts biologisch aktiv, greifen also ständig mehr oder weniger aktiv in die biochemischen Prozesse des Körpers ein.

"Encode" beseitigt ein Problem, das Genetiker seit Jahren irritiert: Obwohl die DNA des Menschen sehr groß ist, kommt sie nur auf läppische 21.000 Gene, eine Zahl, die einige Würmer erreichen und von manchen Pflanzen weit übertroffen wird. Als unser Erbgut Ende der 1990er Jahre erstmals entschlüsselt wurde, hatten die Genetiker mit mindestens 100.000 oder gar doppelt so viel Genen gerechnet.

Die Frage war also: Wie können so wenige Bausteine des Lebens die Basis für eine so vielseitige und komplizierte Spezies wie den Menschen sein? Nur etwas mehr als ein Prozent des Erbguts soll alle wichtigen Informationen enthalten – und der gesamte Rest des berühmten Moleküls mit der Doppelhelix nur Überbleibsel aus der langen Evolutionsgeschichte der Menschheit sein?

Mit diesem Irrglauben räumen die neuen Erkenntnisse auf. Sie identifizieren den großen Rest, den die Forscher die "dunkle Materie des Genoms" nennen, als Ansammlung von Schaltern – etwa vier Millionen soll es davon geben. Diese Schalter regeln die Aktivität der Gene im Körper. Sie scheinen die Steuereinheit zu sein, damit etwa in einer Hautzelle nur die Gene arbeiten, die dafür benötigt werden. Wenn eine Zelle eine andere Funktion erfüllen soll, werden andere Schalter für die Aktivität der Gene umgelegt.

Um diese biologischen Prozesse zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass die Bezeichnung "Erbgut" für die DNA eigentlich in die Irre führt. Sicher, sie wird von den Eltern an die Kinder übergeben. Jedes Kind trägt eine gemischte Version der DNA des Vaters und der Mutter, die sich zudem von diesem Moment an im Übertragungsprozess jedes Mal ein klein bisschen verändert (Mutationen). Aber die Funktion der DNA hört mit der Zeugung nicht auf, im Gegenteil: Sie ist in jeder Körperzelle vorhanden und liefert die Basis-Information, damit die Zelle das tut, wofür sie vorgesehen ist.

Wie die Schalter diesen Prozess regeln, dafür gibt es mindestens drei verschiedene, noch wenig verstandene Mechanismen – und bereits einen eigenen Wissenschaftszweig, die Epigenetik. Ihre wichtigste These: Wenn das Zusammenspiel der Schalter nicht funktioniert, wird der Mensch vermutlich krank werden. Echte Erbkrankheiten, also solche, die auf einen Defekt an einem Gen beruhen, gibt es wenig. Viel häufiger dürfte in der Ausprägung der Schalter etwa durcheinandergegangen sein, etwa 400 Krankheiten sollen hier ihre Ursache haben, vermutet der britische Bio-Informatiker Ewan Birney, Koordinator von "Encode".

In der US-Zeitschrift Science, eines von vier Fachblättern, die die Ergebnisse gleichzeitig veröffentlichten, berichtet John Stamatoyannopoulos von der University of Washington beispielsweise von Veränderungen in der DNA, die bei Patienten mit Multipler Sklerose, Morbus Crohn oder Herzleiden gefunden werden. Solche Ergebnisse gewinnen die Forscher quasi über statistische Methoden. Sie vergleichen das Erbgut von Hunderten gesunden und kranken Menschen. Die Auffälligkeiten werden dann mit dem bestehenden Wissen über die Funktion der DNA-Abschnitte kombiniert. Das Bittere an dieser Forschung: Zwar werden möglicherweise Ursachen für eine Erkrankung gefunden, es ist aber sehr schwer und ein zusätzliches Forschungsprojekt, daraus Therapien zu entwickeln. "Das wird die Aufgabe des 21. Jahrhunderts", sagt Birney. Die Förderung für weitere fünf Jahre ist schon bewilligt.