Ein neues Verfahren an der Uni-Klinik Düsseldorf erlaubt eine genauere Messung, wie gut das Gewebe noch versorgt wird. Die Ärzte können damit die Heilungschancen bei Durchblutungsstörungen und offenen Wunden besser bewerten – und so Amputationen verhindern.

 

Von Rainer Kurlemann

Jeder Schritt fällt schwer. Die Beine schmerzen beim Gehen. Schon eine Strecke von 200 Meter kann zu einer unerträglichen Tortur werden, die ohne Pausen nicht zu bewältigen ist. Durchblutungsstörungen in den Beinen machen den Alltag beschwerlich. Die Muskeln erhalten bei Belastung nicht mehr genug Nährstoffe und Sauerstoff. Sie reagieren mit Warnsignalen: Schmerzen, die später, wenn die Erkrankung noch weiter fortgeschritten ist, selbst im Ruhezustand kaum nachlassen.

„Wenn die Durchblutung schlechter wird, kann das so weit gehen, dass die Energiezufuhr nicht mehr ausreicht, um die Zellen zu erhalten. Das Gewebe stirbt dann ab“, erklärt Hubert Schelzig, Professor an der Universitätsklinik Düsseldorf. Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) nennt der Mediziner diese Krankheit, die vor allem Menschen über 60 Jahren plagt. Der Volksmund sagt etwas salopp Schaufenster-Krankheit dazu, weil die Betroffenen oft stehenbleiben und sich etwas anschauen. Dabei ist es der Schmerz in den Beinen, der die Bewegung stoppt und nicht etwa die Auslage im Ladengeschäft.

Durchblutungsstörungen in den unteren  Gliedmaßen werden in Deutschland immer häufiger diagnostiziert, vor allem weil die Menschen heute älter werden. „Der Zustand der Gefäße im Alter ist manchmal ein Spiegelbild des jeweiligen Lebensstils“, sagt Hubert Schelzig, Direktor der Klinik für Gefäß- und Endovaskularchirurgie. „Wer sich wenig bewegt oder raucht, wird mehr Probleme haben; aber auch Bluthochdruck und vor allem Diabetes können Ursachen für Durchblutungsstörungen sein.“ Zwar gibt es mehrere gute Behandlungs­möglichkeiten, aber manchmal bleibt den Ärzten als letztes Mittel nur die Amputation, wenn das Gewebe nicht mehr gerettet werden kann.

„Für die Therapie ist es wichtig möglichst genau zu wissen, wie gut die Qualität der Durchblutung an den unterschiedlichen Stellen ist“, erklärt Hubert Schelzig. Er will deshalb an der Uni-Klinik Düsseldorf ein schonendes Verfahren etablieren, mit dem die Sauerstoff­konzentration in  der Haut gemessen werden kann - ein sicherer Indikator für die Bewertung des Durchblutungszustandes im jeweiligen Gewebe. Je höher der Sauerstoffgehalt, desto besser die Energieversorgung der Zellen. „Wir bekommen ein besseres Bild über den Zustand der Zellen“, sagt Schelzig. Die Anschaffung des Radiometers wurde von der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post gefördert.

„Mit dieser Untersuchung lässt sich nicht nur die Stelle, ab der amputiert werden muss, präziser bestimmen“, so Schelzig, „sie hilft auch als Ergänzung zu anderen Untersuchungen zu entscheiden, ob eine Amputation überhaupt nötig ist.“ In Deutschland werde noch immer häufiger amputiert als im europäischen Vergleich, sagt der Gefäßmediziner und sieht deshalb einen hohen Bedarf für das neue Untersuchungsverfahren. Nach einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie der Helios-Klinik in Krefeld hat die Zahl der Amputationen oberhalb des Knöchels nach Durchblutungsstörungen bundesweit von 2005 bis 2010 zwar abgenommen, das gilt aber nicht für die Häufigkeit kleinerer Amputationen. Diese habe bei Männern sogar um knapp 22% zugelegt, berichten die Krefelder.

Von dem Verfahren sollen auch andere Patienten profitieren. „Man kann die Heilungschance einer offenen Wunde viel besser bewerten, wenn man den Durchblutungszustand des Gewebes kennt“, berichtet Schelzig aus einer interdisziplinären Sprechstunde für Wund-Patienten an der Uni-Klinik Düsseldorf. Zudem ermöglicht die Blutgas-Analyse eine exakte Aussage, ob eine Therapie gegen Durchblutungsstörungen erfolgreich ist. Schelzig und sein Team planen eine umfangreiche Studie, die die Auswirkung von Medikamenten und Geh-Training bei Patienten mit unterschiedlich stark ausgeprägter Schaufensterkrankheit untersuchen soll. „Wir wollen ermitteln, ob die Gabe von bestimmten Medikamenten und das Gehtraining die Energieversorgung der Zellen verbessert und damit die schmerzfreie Gehstrecke der Patienten verlängern kann“, sagt der Professor.

Anzeichen dafür gibt es genug. Der Krefelder Gefäßmediziner Knut Kröger von der Helios-Klinik vermutet, dass intensives Gehtraining den Betroffenen mehr helfen könne als alleinige Gefäßveränderungen. Körperliche Aktivität komme in der Therapie eine besondere Bedeutung zu. Allerdings gibt es bundesweit nur 68 Sportgruppen mit speziell ausgebildeten Trainern, die diesen Rehabilitationssport überhaupt anbieten. Im Vergleich zu Koronarsportgruppe bestehe hier „noch erheblicher Handlungsbedarf“. Diese Einschätzung teilt auch Hubert Schelzig: Obwohl es in Deutschland sehr viele Fälle von Gefäßerkrankungen gibt, werde darüber noch zu wenig gesprochen. Es fehlen zudem Spezialisten, denn die Ausbildung von Gefäßmedizinern liege „deutlich unter dem Bedarf“. Das hängt auch damit zusammen, dass es nur sechs Lehrstühle für Gefäß- und Endovaskularchirurgie an Universitätskliniken gibt – die 2012 in Düsseldorf eingerichtete Professur für Hubert Schelzig ist einer davon.