In Herne ist eine einzigartige Schau rund um den Schädel zu sehen: mit 300 Objekten aus 170.000 Jahren Geschichte.

 

Wer bei den Kelten zu Besuch kam, wusste gleich, wie die rauen Gesellen mit ihren Feinden umgingen: Sie nagelten deren Schädel an die Holzbalken ihrer Häuser.

 

Diese Symbolsprache wurde schon in der Eisenzeit verstanden: Wer den Kopf des anderen sein Eigen nennt, muss ein mächtiger Mann sein. Sie wird über Jahrtausende hinweg auf allen Kontinenten und in fast allen Kulturkreisen gepflegt.

 

In Südamerika sollten Schrumpfköpfe aus abgezogener Haut den Sieger vor der Rache des Unterlegenen beschützen. Sie schauen griesgrämig drein und mussten jahrelang mit Zauberformeln besänftigt werden, bis sie schließlich weggeworfen werden konnten.

In Afrika schmückten mächtige Häuptlinge ihre Kalebassen mit menschlichen Unterkiefern, die beim Ausgießen der Flüssigkeit klapperten. Der Besitz des Schädels, das Abtrennen des Kopfes, versinnbildlicht den endgültigen Triumph über den Gegner.

 

Mit mehr als 300 Objekten aus 170.000 Jahren Menschheitsgeschichte zeigt die Ausstellung "Schädelkult" im Westfälischen Landesmuseum in Herne die besondere Bedeutung des Kopfes als Haupt des Menschen.

 

Der Schädel dient gleichermaßen als Symbol des Sieges, als Heimat von Schönheit und Verstand, als Erinnerung an Verstorbene, als Provokation oder als Studienobjekt der Neugierde.

Der Kopf und vor allem das Gesicht prägen die Identität des Menschen und so liegt es nahe, dass daran manipuliert wird. Der Wunsch nach Schönheit entwickelte bizarre Methoden: die gezielte Deformation von Kinderschädeln, die sich eingespannt zwischen Holzbrettern dem Schönheitsideal des Langschädels näherten.

 

Dieser Brauch war in Südamerika noch in den 1980er Jahren üblich. Die Ausstellung zeigt auch, wie fehlgeleitet eine Gesellschaft sein muss, wenn sie den Wert eines Menschen aus dessen Kopfform bestimmen will – oder sogar arische Maße als Vorbild definiert.

Zwar ist der Schädel anatomisch nur der Schutz des Gehirns, dennoch gilt die knöcherne Schale über Jahrtausende als Sitz von Seele und Lebenskraft. "In früherer Zeit war es unmöglich, ein Gehirn zu konservieren", erklärt Ausstellungsinitiator Wilfried Rosendahl, "doch Schädelknochen konnte jeder zur Erinnerung nutzen."

 

Im deutschsprachigen Gebiet wurden sie für Gebeinhäuser teilweise recht kunstvoll mit Namen und Daten des Verblichenen beschriftet – Hilfe zur Erinnerung in einer Zeit, als die Fotografie noch nicht erfunden war.

Wilfried Rosendahl arbeitet am Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim, wo die Schau zuerst zu sehen war. In Herne wurde sie mit neuen Exponaten weiterentwickelt und mit einigen Funden aus NRW erweitert: etwa der löchrige Kopf eines Mannes aus der Jungsteinzeit, bei dem vor 5400 Jahren eine Schädelöffnung vermutlich den Schmerz einer Hirnhautentzündung lindern sollte.

 

Eine Stärke der Schau ist der Blick auf die Sorgfalt, mit der Schädel verändert wurden. Aus ihr spricht großer Respekt des Menschen vor der Macht der Toten. Der Umgang mit den Schädelknochen ist mehr als nur die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit.

Er spiegelt die Anerkennung einer Lebensleistung. Das Volk der Dayak auf Borneo beschnitzt Schädel kunstvoll zur Steigerung der Ernteerträge. Sie erinnern mit ihren Bleiüberzügen an moderne Tattoos. Die Tolai in Ozeanien bemalten die Totenköpfe, die fortan nicht mehr berührt werden durften. Auch Reliquien der katholischen Kirche sind zu sehen.

 

Die Schädel mächtiger Häuptlinge wurden mit Haaren verziert und auf Pfählen in der Mitte des Dorfes platziert. In Mexiko schmückten die Mixteken die Knochen mit türkisfarbenen Mosaiksteinchen und setzten Jade in die Augenlöcher ein, bevor die Schädel als Ritualgefäß Verwendung fanden. Das Museum zeigt einen der weltweit nur acht noch erhaltenen Köpfe dieser Art – er ist 1500 Jahre alt.

Man möchte gern mehr erfahren über das Leben dieser Menschen, doch so ausdrucksstark ihre Köpfe noch heute erscheinen, umgibt sie dennoch nur Schweigen. Meist lässt sich das Geschlecht ermitteln, manchmal das Alter.

Computer versuchen den Schädeln Gesichter zuzuweisen und sie damit heutigen Sehgewohnheiten anzunähern. Die Moorleiche Moora mit ihrer zaghaften Nase mag damals eine Schönheit gewesen sein, am Computerbildschirm fehlt ihr Authentizität.