Vor zwölf Monaten stand Rohkost unter Verdacht. Ein Krankheitserreger im Gemüse sorgte erst für Durchfall, dann für schwere Nierenschäden. Ein Jahr später beschäftigt EHEC die Forscher noch immer. Das einfache Rezept gegen den gefährlichen Keim: bessere Hygienestandards.

 

Gemessen im internationalen Vergleich schneidet Deutschland vorbildlich ab. Der EHEC-Keim ist weltweit verbreitet, aber mit etwa 1000 Erkrankungen pro Jahr rangieren wir am unteren Ende der Skala der großen Industrienationen – die Sorgenkinder sind die Länder Südamerikas.

Dazu passt eine zweite erfreuliche Botschaft von Helge Karch, Hygiene-Professor an der Uni Münster: Der Keim vom Typ O104:H4 sei von ihm in aktuellen Proben nicht mehr gefunden worden. Karchs Institut ist das deutsche Referenzlabor für den meldepflichtigen Erreger. Die Epidemie im Frühsommer 2011, als EHEC O104:H4 in Deutschland 53 Menschen tötete, ist also endgültig beendet.

Doch Vergangenheit ist sie deshalb noch lange nicht. Dafür bleiben zu viele Fragen offen und auch das Verhalten der Behörden kann verbessert werden. Vieles davon steht nicht in den offiziellen Berichten über die acht Wochen, als Deutschland erst Gurken und Tomaten und später auch Sprossen vom Speiseplan verbannte.

So sagt Helge Karch zum Beispiel, dass er die erste Stuhlprobe mit dem Erreger "leider erst spät" empfangen habe. Am 23. Mai war das, da war der Höhepunkt des Ausbruchsgeschehens bereits überschritten. Und das obwohl in Deutschland niemand die EHEC-Keime so gut kennt, wie er. Bei uns gibt es keine Pflicht, das beste Labor zu beauftragen. "In anderen Ländern ist das anders", sagt Karch.

So wie mit der Meldepflicht generell, die es zwar für EHEC gibt. Aber wenn zusätzlich regelmäßig der Subtyp des Erregers ermittelt und eine umfassende Datenbank erstellt würde, ließen sich Gefahren und aufkommende Epidemien besser einschätzen. "Das ist noch einiges zu tun", sagt Karch. "Wenn ein neuer Ausbruch erfolgen sollte, wird er durch eine andere Variante hervorgerufen werden. Die Schwierigkeit ist jetzt, eine Voraussage zu treffen, um welchen dieser Stämme es sich handeln wird."

EHEC ist nämlich ein Verwandlungskünstler – es gibt mehr als 1000 Varianten, aber nur 42 davon (zum Beispiel O104:H4) lösen auch das lebensgefährliche hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) aus, das zu schweren Nierenschäden führen kann. Zudem lässt sich mit dem Wissen vom Subtyp die Quelle des Erregers schneller finden – wenn das überhaupt gelingt.

2011 sollen es am Ende Sprossen aus Ägypten gewesen sein, die in einem deutschen Betrieb gezogen und von dort verkauft wurden. "In der Öffentlichkeit wird die Ägypten-These als quasi erwiesene Erklärung angesehen, obwohl es keinen Tatsachenbeweis gibt", kritisiert die Verbraucher-Organisation Foodwatch. Es sei weder von der EU noch von Deutschland untersucht worden, ob auf den Farmen, die den Samen erzeugen, Menschen oder Tiere leben, die den Erreger tragen und damit das Produkt verseucht haben könnten. Auch Helge Karch hat Hinweise, dass die Quelle auch in Asien liegen könnte.

Foodwatch kritisiert, dass nichts getan werde, um die Produktionsbedingungen vor Ort zu verbessern. Die Herstellung von Sprossen und geschnittenem Salat müsse ähnlich sensibel wie der Umgang mit Fleisch kontrolliert werden. Die Hygiene-Experten der Uni Münster sehen aber kaum Unterschiede zu anderen Erregern. Der Verbraucher sollte sich die Hände gründlich waschen, auch bevor er mit Nahrungsmitteln hantiert – und das Gemüse selbst natürlich auch.

Zu den Rätseln zählt auch, warum so viele jüngere Frauen an HUS erkrankt sind. Der Erreger trat vorher fast überwiegend bei Kleinkindern auf. "Die Art der Darmflora spielt bei der Abwehr des EHEC-Erregers wohl eine große Rolle", erklärt Helge Karch. Unter bestimmten Umständen kann EHEC nicht an der Darmwand haften und wird dann einfach ausgeschieden.

Doch die bisher beste Nachricht sind die Testergebnisse für ein Therapeutikum in Südamerika, das verhindern soll, dass sich aus einer EHEC-Infektion das gefährliche HUS entwickelt. Schon wenn die Patienten an Durchfall leiden, soll ein Antikörper die von EHEC produzierten Shiga-Toxine neutralisieren. Der beliebte Einsatz von Antibiotika scheint hingegen für diese Erreger nicht oder nur begrenzt sinnvoll – und auch das ist eine Erkenntnis der Epidemie, als in den Krankenhäusern verschiedene Therapien verwandt wurden. Die Uni-Klinik Münster ist stolz, dass keiner der 30 dort betreuten Patienten verstarb.