Das Grab des früheren Palästinenser-Führers Jassir Arafat wurde am Dienstag geöffnet. Nachdem Experten Proben von den Knochen nahmen, ist der Leichnam bereits wieder beigesetzt. Forscher suchen nun nach Spuren von Polonium.

Wurde Palästinenser-Führer Yassir Arafat vergiftet? Schweizer Spezialisten wollen eines der großen Geheimnisse klären: Am Dienstag wurde Arafats Grab in Ramallah geöffnet, damit Experten für Radioaktivität aus Lausanne Proben vom verbliebenen Gewebe und den Knochen des Leichnams nehmen konnten. Sie sollen auf Spuren des hochgiftigen Poloniums untersucht werden.

Arafats Leben war gezeichnet von Mythen, sein Tod ist es ebenfalls: Bis Mitte Oktober 2004 soll der damals in seinem Regierungssitz im Westjordanland festgesetzte 75-Jährige bei guter Gesundheit gewesen sein. Dann sei er plötzlich schwer krank geworden – erst mit grippeartigen Symptomen, später hätten die Ärzte keine konkrete Diagnose stellen können, weil sie das Krankheitsbild nicht erklären konnten, sagen palästinensische Quellen, die der Vergiftungstheorie das Wort reden.

Arafat starb am 11. November 2004 in Paris, wo ihm auch europäische Medizin nicht mehr helfen konnte. Die französischen Ärzte sprachen von einer natürlichen Todesursache. Arafats ungewöhnliche Symptome seien auch durch normale Krankheiten zu erklären.

Doch gerade im arabischen Raum hält sich der Mythos vom Märtyrer: Wurde Arafat ermordet? Starb er den gleichen Tod, wie Alexander Litvinenko, der 2006 in London mit Polonium-210 vergiftet wurde? Der russische Geheimdienst soll jemanden beauftragt haben, den Tee ihres übergelaufenen Spions mit Polonium-210 zu vergiften. Zwar reicht die Alfa-Strahlung der radioaktiven Substanz im Gewebe nur ein zehntel Millimeter weit, doch schon dadurch kann der Körper langsam von innen zerstört werden.

Tatsächlich wurde Polonium-210 bei Litwinenko eindeutig nachgewiesen – und weil Russland weltweit der einzig bekannte Produzent ist, lag es nahe, dass der Geheimdienst sich dort bedient haben könnte.

Doch im Fall Arafat sind Experten skeptisch, ob die Analyse überhaupt ein Ergebnis bringen wird. "Falls noch Polonium vorhanden ist, werden es winzige Mengen sein", sagt Klaus Mayer, Leiter der nuklearen Forensik am Karlsruher Institut für Transurane.

Litwinenko soll eine tödliche Dosis von einem bis fünf Mikrogramm verabreicht worden sein. Doch weniger als die Hälfte des gut wasserlöslichen Poloniums wird überhaupt vom Körper aufgenommen – das meiste binnen weniger Tage über Schweiß und maßgeblich über Urin und Exkremente wieder ausgeschieden. Und während beim russischen Ex-Agenten die Suche nach der Todesursache sofort begann, hätte im Fall Arafat die Zeit für die mutmaßlichen Giftmörder gearbeitet. Denn das Gift zerstört sich durch radioaktiven Zerfall selbst und sein Zerfallsprodukt Blei ist im Körper nicht ungewöhnlich.

Durch die Radioaktivität ist nach 138 Tagen jeweils die Hälfte des Poloniums zerfallen, 20 solcher Halbwertszeiten sind seit Arafats Tod vergangen. "Von der vom Körper aufgenommenen Menge Polonium-210 ist damit nur noch ein Millionstel übriggeblieben", sagt Mayer, "und das hat sich noch über den Körper verteilt." Etwa die Hälfte in der Leber, zehn Prozent im Skelett, 20 Prozent in den Muskeln.

Von den Überresten Arafats hat das Lausanner Expertenteam wohl nur wenige Gramm als Probe mit in die Schweiz nehmen dürfen. "Von dem darin möglicherweise vorhandenen Polonium muss man dann noch Verlusten in der chemischen Aufbereitung und bei der Zählausbeute der Messgeräte Tribut zollen", ergänzt Mayer.

Das klingt deprimierend – als ob die Suche von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Ist sie aber nicht, denn die Spezialisten mit ihren Reinst-Räumen, extrem sauberen Chemikalien und zahlreichen Kontrollmessungen können mit solchen Herausforderungen umgehen.

"Im günstigsten Fall detektieren sie schließlich alle 1000 Sekunden im Messgerät ein Signal, das durch radioaktiven Zerfall von Polonium ausgelöst wurde", rechnet Mayer vor, der selbst solche Extrem-Analytik im Kampf gegen Atomschmuggel betreibt. Vermutlich werde man mit dem Alpha-Spektrometer etwa zwei Wochen messen müssen. "Das ist schon sehr, sehr schwierig", zollt er den Kollegen Respekt.

"Wenn kein Polonium gefunden wird, darf man daraus nicht den Umkehrschluss ziehen, dass Arafat nicht vergiftet wurde." Es könne auch sein, dass die Substanz nicht mehr nachgewiesen werden kann. Die Giftmord-These wird also nicht sterben.

Unter diesen Bedingungen überrascht das Ergebnis der Schweizer Experten, die Kleidung untersuchten, die Arafat vor acht Jahren angeblich im Krankenhaus getragen haben soll. Zweimal wurde diese vermessen: im Februar und im Mai 2012. Bei einer Probe (Unterwäsche) habe alle fünf Sekunden das Messgerät ein durch radioaktiven Zerfall von Polonium-210 ausgelöstes Signal geliefert, berichtete Francois Bochud, Direktor des Instituts für Radiophysik, in der Wissenschaftszeitung "Nature".

Er räumte freimütig ein, dass er nicht damit gerechnet habe, Polonium zu finden, als er den Auftrag vom TV-Sender Al Dschasira erhalten habe: "Wir haben es nur wegen des Falls Litwinenko gemacht."

Eine Information werden die Schweizer Messungen nach Mayers Ansicht in keinem Fall liefern: nämlich die, woher das Gift stammt, oder wer der Täter sein könnte. "Polonium ist durch den speziellen Herstellungsprozess aus Bismut immer sehr sauber", sagt er, "da werden sie weder Spuren vom Hersteller noch vom Lieferanten finden."